Nachdem die Aktienmärkte das Jahr 2023 mit einem Plus von 25% abgeschlossen hatten, rechnete zum Jahreswechsel vermutlich kaum jemand damit, dass die Kurse in diesem Jahr um weitere 20% steigen würden.1 Die Aktienmärkte blicken auf einen außergewöhnlichen Lauf zurück, insbesondere in den USA. Warum? Die US-Wirtschaft zeigt eine solide Dynamik, die Jahresrate des BIP-Wachstums liegt seit dem dritten Quartal 2023 bei rund 3%. Gleichzeitig ist die Inflation kontinuierlich gesunken und lag nach 9% im Jahr 2022 und 3% Anfang 2024 zuletzt nur noch bei etwa 2,5%.2 Beides hat die Märkte gestützt.
Außerdem sind die Prognosen für das Gewinnwachstum der US-Unternehmen im Jahr 2025 mit rund 15% weiterhin optimistisch. Diese Resilienz ist durchaus etwas überraschend, da der Ausblick für die Weltwirtschaft zum Jahreswechsel 2024/25 nicht frei von Risiken ist …
Es bläst ein kräftiger Gegenwind
Die geopolitischen Risiken, die uns im Jahr 2024 beschäftigen, haben die Wirtschaft bislang nicht ausgebremst. Eine weitere Zuspitzung der verschiedenen Konflikte bleibt jedoch eine reale Möglichkeit. Der Krieg in der Ukraine dauert an, mit Gebietsgewinnen für beide Seiten und keinem Ende in Sicht. Im Nahen Osten scheint sich die Lage trotz zahlreicher Aufrufe zum Waffenstillstand zu verschärfen. Beide Konflikte sind vor allem menschliche Tragödien. Als Investmentmanager müssen wir jedoch auch ihre wirtschaftlichen Folgen betrachten. Auf kurze Sicht ist eine erhöhte Volatilität ein echter Sorgenfaktor, auf lange Sicht das mögliche Wiederaufleben der Inflation, da beide direkte Auswirkungen für Unternehmen hätten.
In den USA hat Donald Trump vor Kurzem die Präsidentschaftswahl gewonnen. Darüber hinaus haben seine Republikaner die Kontrolle über den Senat und das Repräsentantenhaus erlangt. Das wird es für Trumps Regierung sehr viel einfacher machen, ihre politischen Vorhaben umzusetzen. Mit Blick auf 2025 könnte dies niedrigere Steuern sowie weniger Regulierung bedeuten (wobei die Zölle steigen könnten) und Auswirkungen auf den internationalen Handel haben.
Der wirtschaftliche Nationalismus wird immer stärker. Zölle und Sanktionen haben in der Regel Vergeltungsmaßnahmen zur Folge, wodurch es zu einer Negativspirale kommen kann. Dieses Thema dürfte uns in den nächsten Jahren stärker beschäftigen.
Divergenzen auf dem Abwärtspfad
Viele globale Volkswirtschaften haben seit 2023 einen ähnlichen Inflationsschock erlebt. Im Spannungsfeld von Inflationsbekämpfung und Wachstumsförderung sind die Zentralbanken jedoch unterschiedlich vorgegangen.
Der klare Außenseiter ist die Bank of Japan, die ihren Leitzins im Juli um 25 Basispunkte (Bps) angehoben hat. Unter den Zentralbanken, die ihre Geldpolitik wieder lockern, hat die Europäische Zentralbank mit zwei aufeinanderfolgenden Zinssenkungen um jeweils 0,25% den Anfang gemacht. Angesichts des anhaltend starken Lohnwachstums in Großbritannien ist die Bank of England vorsichtiger vorgegangen und hat zwischen ihren beiden Zinssenkungen eine Pause eingelegt. Die US-Notenbank (Fed) dagegen hat die Zinswende etwas später eingeläutet, dafür aber mit einer aggressiven Senkung um 50 Bps, auf die im November eine weitere Lockerung um 25 Bps folgte (Abbildung 1). Momentan sieht es danach aus, dass es der Fed gelungen ist, eine „weiche Landung“ der US-Wirtschaft herbeizuführen. Noch blickt jedoch alles auf den Arbeitsmarkt, der sich zuletzt eingetrübt hat.
Abb. 1: Die Zinsen sinken … unterschiedlich schnell
Quelle: Bloomberg, Stand: November 2024
Angesichts der Tatsache, dass die Gesamtinflation und die Kerninflation in den USA auf etwa 2,5% bzw. gut 3% gesunken sind (und sich anderswo auf einem ähnlichen Niveau bewegen), glauben wir jedoch nicht, dass die Zinsen so stark sinken werden, wie viele meinen. In jedem Fall dürften die Zinsen höher bleiben, als sie es in den 2010er Jahren waren (Abbildung 2). Dies wird Auswirkungen für Anleger und ihre Portfoliopositionierung haben.
Abb. 2: Der Inflationsschock ist – vorerst – ausgestanden
Quelle: Bloomberg, Stand: November 2024
Risiken und Chancen im Jahr 2025
Ein neuer Endzinssatz führt zu einem veränderten Umfeld für Unternehmen, auf das sich diese entsprechend einstellen müssen. Der Zinssenkungszyklus sollte für ein günstiges Umfeld für qualitativ hochwertige Anleihen sorgen. Bei höher verzinslichen Anleihen rechnen wir 2025 jedoch mit einer zunehmenden Performancestreuung. Die Bilanzqualität ist nicht in allen Branchen einheitlich, wobei hoch verschuldete Unternehmen insbesondere im High-Yield-Bereich unter Druck geraten könnten.
Sinkende Zinsen sind positiv für Aktien. Da eine Rückkehr der Zinsen zu früheren Tiefständen jedoch unwahrscheinlich ist, wird ein umsichtiger Kapitaleinsatz in diesem neuen Umfeld entscheidend für den Unternehmenserfolg sein. Mit einem Forward-KGV von über 25 ist der US-Markt weiterhin der teuerste Aktienmarkt der Welt. Das Forward-KGV des MSCI All-Country World Index ex-US beträgt lediglich 16,3. So groß war dieser Abstand seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr. Die USA sind jedoch weiterhin auch der dynamischste Markt in Bezug auf die Unternehmensvielfalt. Neben führenden Halbleiterausrüstern finden sich hier auch einige der fortschrittlichsten Unternehmen in den Bereichen künstliche Intelligenz (KI) und generative KI.
Irgendwann werden US-Aktien zu teuer sein. Mit einer Underperformance ist jedoch wahrscheinlich erst dann zu rechnen, wenn andere Märkte schneller wachsen. Sollte Europa zum Beispiel eine größere Wachstumsdynamik entwickeln, werden europäische Aktien attraktiv sein, weil sie so viel günstiger sind. Glauben wir, dass es so kommen wird? Nein. Unterdessen haben chinesische Aktien im Jahr 2024 enttäuscht und es ist fraglich, ob die jetzt zum Tragen kommenden Konjunkturmaßnahmen ausreichen werden, um ein nachhaltig höheres Wirtschaftswachstum herbeizuführen. Zusammen mit den demografischen Herausforderungen und den Unsicherheiten in Bezug auf Zölle und die weitere Entwicklung des Welthandels ergeben sich hier etwas höhere Risiken.
Noch fünf Jahre bis 2030
Die Energiewende wird voranschreiten und dürfte zu weiteren Investitionen in alternative Energien führen. Allerdings rechnen wir auch, je mehr wir uns dem Zieljahr 2030 nähern, mit einer weiteren Aufweichung der Dekarbonisierungsziele. Zudem könnten die diesbezüglichen Verhandlungen sowohl politischer als auch pragmatischer werden, wobei Exportzölle eine wichtigere Rolle spielen dürften.
Haushaltsdefizite: neuer Sorgenfaktor im neuen Jahr
Haushaltsdefizite sind kein Grund zur Sorge, bis sie zu einem werden – und das sollten sie. Große Volkswirtschaften weltweit – von den USA, Großbritannien und Japan bis hin zu vielen europäischen Volkswirtschaften – haben Haushaltsdefizite von 5% bis 6% des BIP (trotz der angeblichen 3-Prozent-Grenze Europas). Bei niedrigen Zinssätzen mag das gehen. Sollten die Defizite jedoch weiter steigen und die Zinsen nicht so stark sinken wie erwartet, würde die Finanzierung des Defizits immer mehr zum Problem. Wenn dies in den Fokus rückt, wird es ein marktbewegender Faktor sein.
Fazit
Für eine Fortsetzung der außergewöhnlichen Aktienrally müsste sich die geopolitische Lage stabilisieren, das Wachstum dürfte nicht zu stark ausfallen und die Inflation müsste auf einem niedrigen Niveau stabil bleiben, damit die Zinsen sinken können … es müsste also viel richtig laufen. Auch wenn wir mit Zugewinnen rechnen, halten wir eine Fortsetzung des Kurswachstums von 20% bis 25% am US-Aktienmarkt daher für unwahrscheinlich. Festverzinsliche Anlagen sollten von einem guten Ausgangspunkt aus ins Jahr 2025 starten: Die Renditen sind attraktiv und die Zentralbanken senken die Zinsen. Allerdings wird es deutliche Performanceunterschiede geben. Bei Aktien genauso wie bei Kreditanlagen wird die Wertpapierauswahl entscheidend für den Anlageerfolg sein.
Sofern nicht anders angegeben, stammen alle Marktdaten von Bloomberg mit Stand November 2024.