Grüner Wasserstoff als saubere Alternative zu traditionellen fossilen Brennstoffen steht nach wie vor stark im Fokus, wobei die Entwicklungen im vergangenen Jahr dessen weit verbreitete Anwendung zusätzlich begünstigt haben. Woher kommt also die ganze Begeisterung, ist Wasserstoff
der Nachhaltigkeits-Disruptor? Und warum wurden gerade in letzter Zeit sobemerkenswerte Fortschritte erzielt?
Was und wie?
Wasserstoff ist das im Universum am häufigsten vorkommende Molekül und
findet sich vor allem in Wasser- und Kohlenwasserstoffverbindungen. Seine Eigenschaften sind schon lange kein Geheimnis mehr, und er wird seit über 100 Jahren als Industriechemikalie genutzt. Obwohl das Konzept von
Wasserstoff als Energiequelle alles andere als neu ist, war ein Einsatz in großem Maßstab – bislang – nicht möglich.
Wasserstoff ist zwar ein farbloses Gas, es wird jedoch nach Farben kategorisiert, von denen jede ein anderes
Herstellungsverfahren repräsentiert. Grauer Wasserstoff wird mittels fossiler Brennstoffe hergestellt. Bei der Produktion wird somit CO2 freigesetzt. Blauer Wasserstoff ist grauer Wasserstoff, bei dessen Herstellung Kohlenstoff
abgeschieden und gespeichert wird,sodass ein Großteil der CO2-Emissionen,
die dabei anfallen, kompensiert wird. Grüner Wasserstoff wird indes durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt, bei der
letzteres in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird. Sofern bei diesem
Prozess erneuerbare Energien zum Einsatz kommen, handelt es sich hierbei um eine
emissionsfreie Energiequelle.
Sollte grüner Wasserstoff also in großem Maßstab
produziert werden, so verfügt er über das
Potenzial, wesentlich zur Dekarbonisierung
von Wirtschaftssektoren beizutragen,
in denen sich Emissionsreduzierungen
schwierig gestalten.
Katalysatoren für die Verwendung
Damit Wasserstoff zu einer tragfähigen
Lösung werden kann, sind eine stärkere
Nachfrage und niedrigere Kosten vonnöten.
Aktuell zeichnen sich aber Entwicklungen
bei drei wesentlichen Treibern ab. Zum
einen beschleunigt sich der Klimawandel.
Dies bedingt einen zweiten wichtigen
Treiber – den politischen Willen, etwas
dagegen zu unternehmen (Abbildung
1). Seit dem Pariser Klimaabkommen
2015 haben Regierungen sich immer
mehr mit dem Klimawandel befasst und
sich selbst Ziele zur Verringerung der
Kohlenstoffemissionen gesetzt, deren
Einhaltung bis 2050 zu CO2-Neutralität
führen soll. Die Corona-Pandemie hat
die Dringlichkeit dieser Maßnahmen
deutlicher gemacht denn je.
Abbildung 1: Regierungen mit nationalen Wasserstoffstrategien, angekündigten Zielen, Priorität für Wasserstoff und dessen Nutzung sowie gezielter Finanzierung
Quelle: IEA (Oktober 2021).
Abbildung 2: Erwähnungen in Unternehmens- und Analystenprotokollen
Quelle: MS, September 2021.
Auf der Suche nach Möglichkeiten zur
Reduzierung von Emissionen haben die
politischen Entscheidungsträger
in der Wasserstofftechnologie
möglicherweise eine realistische
Alternative gefunden. Angaben des
Hydrogen Council zufolge könnte
Wasserstoff die globalen Emissionen bis
2050 um 6 Gigatonnen oder 17% der
2020 weltweit verzeichneten Emissionen
verringern.1 Derzeit haben etwa 66 Länder
Netto-Null-Emissionsziele verabschiedet,
und 20 davon haben Wasserstoffstrategien
vorgelegt. Wir gehen davon aus, dass
viele weitere Länder nachziehen werden.
Der dritte wesentliche Treiber betrifft die
Tatsache, dass die Preise für grünen
Wasserstoff in den letzten zehn Jahren
dank Effizienzsteigerungen drastisch
gesunken sind. 70% der Kosten für die
Herstellung von Wasserstoff kommen
durch die für die Elektrolyse aufgewendete
Energie aus erneuerbaren Quellen
zustande, deren Preis innerhalb eines
Jahrzehnts um annähernd 70% gefallen
ist.2 Hinzu kommt, dass der Preis für
einen Elektrolyseur in diesem Zeitraum
um rund 60% zurückgegangen ist.3
Es besteht Grund zu der Annahme,
dass diese Preise weiter sinken
werden und so die Attraktivität von
grünem Wasserstoff weiter steigt.
Was hat sich in den letzten 12 Monaten verändert?
Die Intensität der Debatte über grünen
Wasserstoff ist stetig gestiegen, aber in
den vergangenen sechs bis 12 Monaten
wurde das Thema überproportional häufig
diskutiert (Abbildung 2) – noch öfter
sogar als Themen wie 5G, Blockchain
oder KI.4 Worauf ist dieses stark
zunehmende Interesse zurückzuführen? Zunächst einmal weist eine Reihe
von Faktoren, die im Laufe des letzten
Jahrzehnts wesentlich zur Verbreitung
von Wasserstoff beigetragen haben, nach
wie vor eine starke Dynamik auf. Was
die Effizienz und die Kosten anbelangt,
so legen die Prognosen aus diesem Jahr
einen Rückgang der Wasserstoffkosten
nahe, während der Produktionsumfang
eine deutliche Zunahme der Verbreitung
ab 2030 in vielen verschiedenen Branchen
von Chemikalien bis Brennstoffzellen für
Lkw begünstigen dürfte.5 In einer jüngst
revidierten Prognose geht Bloomberg
davon aus, dass die Kosten für grünen
Wasserstoff 2030 um 13% niedriger
ausfallen werden als zuvor angenommen.6
Da sich die CO2-Preise weltweit auf hohen
Niveaus bewegen und in der EU jüngst
Allzeithochs verzeichnet haben,7 fällt das
kommerzielle Potenzial von Wasserstoff
als wesentliche Dekarbonisierungslösung
höher aus als je zuvor.
Das Aufkommen mehrerer
vielversprechender Wasserstoffprojekte
in den vergangenen 12 Monaten trug
wesentlich zur Reduzierung dieser
Kostenschätzungen und zu den
Effizienzsteigerungen bei. Allein zwischen
Dezember 2020 und August 2021 stieg
die Zahl an grünen Wasserstoffprojekten
um über das Dreifache an,8 wobei weltweit
359 Großprojekte angekündigt wurden.
Europa steht hier mit Investitionen
in Höhe von 130 Mrd. USD an erster
Stelle, aber die anderen Regionen ziehen
nach. China erweist sich allmählich
auch als potenzieller Wasserstoffriese
mit über 50 in der Pipeline befindlichen
Projekten, die lanciert wurden, nachdem
das Land angekündigt hatte, bis 2060
Klimaneutralität erreichen zu wollen.9
Eine wichtige Kostenentwicklung ging
aus dem Bericht zum 3. Quartal 2021
von NEL hervor, dem weltweit größten
Hersteller von Elektrolyseuren. Es wurde
allgemein davon ausgegangen, dass die
Kosten für grünen Wasserstoff bis 2030
auf unter 2 USD/kg sinken würden.10
Die Kosten gehen aber stark zurück, und
NEL hat sich inzwischen ein Kostenziel
bei grünem Wasserstoff von 1,50 USD/
kg bis 2025 gesetzt. Darin kommen
die Innovationsgeschwindigkeit bei
grünem Wasserstoff und der anhaltende Kostenrückgang bei erneuerbaren
Energien weltweit zum Ausdruck.
Abbildung 3: Private Equity, Infrastruktur und Wasserstoff
Quelle: Morgan Stanley – The Hydrogen Handbook. The Hydrogen Council.
Abbildung 4: Ermittlung von Infrastrukturinvestitionen über die Wasserstoff-
Wertschöpfungskette hinweg
Quelle: Arup Hydrogen.
Der wohl größte Einfluss in Bezug auf
den Aufstieg grünen Wasserstoffs zu
einem Nachhaltigkeits-Disruptor geht
von der Regierungsunterstützung aus.
Vereinfacht ausgedrückt bedeutet
dies, dass die Regierungen rund um
den Globus für die Zeit nach fossilen
Brennstoffen planen müssen. Ihre
Fähigkeit, Richtlinien und Vorschriften
zu erlassen, die sowohl aus finanzieller
Sicht als auch im Hinblick auf die für
grünen Wasserstoff benötigte Infrastruktur
für Unterstützung sorgen, könnte sich
als maßgeblich für die Tragfähigkeit
grünen Wasserstoffs erweisen.
Es ist eine Sache, grünen Wasserstoff zu
Kosten von 1,50 USD/kg herzustellen.
Damit dessen Verbreitung aber auch
den Netto-Null-Zielen gerecht wird, muss
der Vertrieb an die Endkunden zu einem
im Vergleich zu fossilen Brennstoffen
wettbewerbsfähigen Preis erfolgen. Um
diesen Prozess zu begünstigen, bedarf
es entsprechender Infrastruktur.
Im vergangenen Jahr hat die chinesische
Regierung öffentliche Mittel im Umfang
von 20 Mrd. USD für Wasserstoffprojekte
zur Verfügung gestellt. Bislang weisen
50% der angekündigten Projekte
einen Bezug zum Transportwesen
auf, einem für den Energiewendeplan
des Landes wesentlichen Sektor.11 Indes haben die USA ihre Netto-Null-
Verpflichtung erneuert, indem sie nach
der Amtsübernahme von Präsident
Biden wieder dem Übereinkommen
von Paris beigetreten sind.12
Im August 2021 hat sich die
britische Regierung im Rahmen ihrer
Wasserstoffstrategie das Ziel gesetzt, einen
florierenden Sektor für grünen Kohlenstoff
zu schaffen, um die Herausforderungen,
denen sich die Wirtschaft des Landes
im Hinblick auf die Dekarbonisierung
gegenübersieht, zu meistern. Dabei strebt
die Regierung an, bis 2030 emissionsarme
Wasserstoffproduktionsanlagen mit
einer Kapazität von 5 GW zu errichten.
Dadurch könnte Wasserstoff in einem
Umfang hergestellt werden, der dem
jährlichen Gasverbrauch von mehr
als drei Millionen Haushalten im
Vereinigten Königreich entspricht.13
Die britische Wasserstoffstrategie ist
umfassend formuliert und verfolgt einen
ganzheitlichen Ansatz bei der Entwicklung
eines florierenden Wasserstoffsektors.
Darin ist festgelegt, was getan werden
muss, um die Produktion, den Vertrieb,
die Speicherung und die Nutzung
von Wasserstoff zu ermöglichen und
wirtschaftliche Gelegenheiten im gesamten
Vereinigten Königreich zu nutzen.14
Es entstehen allmählich Unternehmen,
die auf die Herstellung, den Vertrieb und
die Nutzung von Wasserstoff spezialisiert
sind. Weltweit gibt es über die gesamte
Lieferkette hinweg 228 laufende
Wasserstoffprojekte (Abbildung 3), davon
17 Produktionsanlagen im Gigawattbereich.
Zwei wesentliche, kürzlich erfolgte
Übernahmen betreffen den Kauf des kanadischen Elektrolyseurhersteller
Hydrogenics für 290 Mio. USD15 durch
das Stromunternehmen Cummins
und die Mehrheitsbeteiligung von
MAN Energy Solutions am deutschen
Elektrolyseurproduzenten H-TEC Systems
für eine nicht offengelegte Summe.16
Abbildung 5: Wasserstoffnachfrage in den Szenarien der IEA zu den angekündigten Verpflichtungen und den Netto-Null-Emissionen
Quelle: IEA: Hydrogen Review, 2021.
Interessanterweise sind auch Investitionen
in riskantere Wasserstoff-Start-ups
zu beobachten, die sich noch in der
Frühphase befinden und den Fokus
auf die Wasserstoffproduktion ohne
Elektrolyse legen. Die Finanzierung
solcher Projektentwicklungen und
Integrationsdienste könnte auf einen
reifer werdenden Sektor hindeuten.17
Schätzungen des Hydrogen Council zufolge
könnten die Gesamtinvestitionen in die
Wasserstoff-Wertschöpfungskette bis
2030 auf über 300 Mrd. USD anwachsen
und laut Angaben der Energy Transitions
Commission bis 2050 rund 15 Bio.
USD erreichen.18 Darin kommen sowohl
die benötigten privaten Investitionen
innerhalb der Wertschöpfungskette
sowie die damit verbundenen Chancen
zum Ausdruck (Abbildung 4).
Zwar bestehen mehrere Hürden für
die Einführung von Wasserstoff als
Mainstream-Energiequelle, die von den
Kosten bis hin zur Effizienz reichen. Dabei
erkennen wir aber zwei Haupthemmnisse.
Das erste ist die aktuell begrenzte
Nachfrage. Aus Produktionssicht nimmt
die politische Unterstützung zwar zu,
verbessert sich die Technologie und sinken
die Kosten. Die tatsächliche Nachfrage
nach Wasserstoff hält sich allerdings
nach wie vor in Grenzen. Diese könnte
jedoch von den Netto-Null-Verpflichtungen
beflügelt werden (Abbildung 5). Die weitere Infrastrukturentwicklung wird
maßgeblich dafür sein, ob grüner
Wasserstoff zur Patentlösung für
die Dekarbonisierung avanciert.
Das zweite ist die mangelnde Akzeptanz
von Wasserstoff in der Gesellschaft. Seit
der Hindenburg-Katastrophe im Jahr 1937
ist dessen Verwendung als Kraftstoff mit
einem Stigma belegt. Bevor Wasserstoff
zur Mainstream-Energiequelle werden kann,
müssen Verbraucher und Investoren erst
von seinem Nutzen und seiner Sicherheit
überzeugt werden. Wir glauben, dass
Vermögensverwalter sich des Potenzials
von Wasserstoff zunehmend bewusst
werden und versuchen, ihren Investoren
dieses nahezubringen. Wir hoffen, dass
auch die Öffentlichkeit die Vorteile von
Wasserstoff erkennen wird. Unseres
Erachtens ist dies alles mit enormen
Chancen für den Infrastruktursektor
verbunden, denn ohne entsprechende
Infrastrukturprojekte wird Wasserstoff
nie großflächig zum Einsatz kommen.
Fazit
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass
grüner Wasserstoff über das Potenzial
verfügt, die erneuerbare Energiebranche
umzuwälzen, denn in den vergangenen
12 Monaten kam es zu wesentlichen
Fortschritten – von den zunehmenden
technologischen Verbesserungen über
die Skalierbarkeit bis hin zur politischen
Unterstützung. Auch die Geschwindigkeit,
in der Wasserstoff für Umbrüche sorgen
könnte, darf nicht unterschätzt werden.
Wäre man 1900 die Fifth Avenue in New
York entlanggeschlendert, hätte man
wahrscheinlich 1.000 Pferde und nur
ein Auto gesehen. Nur ein Jahrzehnt später war wohl das Gegenteil der Fall.
1900 waren Automobile im Vergleich zu
Pferden noch ineffizient, unzuverlässig
und teuer, doch die langfristige Chance
war bereits erkennbar. Vielleicht werden
wir uns in zehn Jahren ja auch fragen,
warum überhaupt über die Nutzung
von Wasserstoff diskutiert wurde.
Haupthindernis für die großflächige
Verbreitung von Wasserstoff ist derzeit
die mangelnde Nachfrage. Obwohl die
politische Unterstützung exponentiell
zunimmt, reicht sie noch nicht aus,
um bis 2050 Netto-Null-Emissionen
im Energiesystem zu erreichen.
Entscheidend hierfür ist eine Mischung
verschiedener Unterstützungsmaßnahmen,
beispielsweise Anreizmechanismen für
die Nutzung von Wasserstoff sowie die
Entwicklung von Infrastruktur. In Bezug
auf Letztere zeichnen sich zunehmende
Investitionen ab, was positiv ist. Um
diese Dynamik beizubehalten, muss die
Politik den Fokus aber nicht nur auf die
Kostenreduzierung, sondern auch darauf
legen, für die entsprechende Infrastruktur
zu sorgen, um die erforderliche Nachfrage
sicherzustellen. Wie in Abbildung 1 gezeigt,
ist die politische Unterstützung groß, aber
es besteht weiterer Spielraum, zumal
weitere Länder Netto-Null-Ziele festlegen.
Der jüngste Anstieg der Energiepreise
könnte die politischen Bemühungen in
den nächsten 12 Monaten beschleunigen.
Nach der Klimakonferenz COP26 dürfte
mehr Klarheit in Bezug auf die politische
Unterstützung bestehen und werden sich
möglicherweise attraktive, fruchtbare
Infrastrukturgelegenheiten bieten.